Seit geraumer Zeit habe ich nichts von mir und der Welt um mich herum berichtet. Das lag nicht daran, dass es nicht erlebnisreich gewesen wäre. Es lief nur nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mir fehlten die Worte und die Lust die passenden zu suchen und zu finden. Es waren keine Katastrophen oder Schrecklichkeiten geschehen. Die Zeit nach unserem Ablegen in Messolonghi war lediglich durchwachsen, wie das Wetter im Frühjahr.
Drei Wochen später:
Heute Vormittag habe ich unter dem Schiffsbauch gehockt und ein Zweikomponenten-Epoxidharz angemischt. Der Kiel hatte an einigen kleinen Stellen Rost angesetzt. Eins zu vier ist das passenden Mischverhältnis, damit der Anstrich das gewünschte Ergebnis erzielt.
Zählt man eins und eins zusammen wird klar, dass die lei lei momentan keine handbreit Wasser unter dem Kiel hat.
Rückblick:
Wir hatten es geschafft pünktlich am 15. Mai in der Werft Moor & Docks auf Leros anzukommen. Wolle hatte diesen Termin von langer Hand geplant. Die Furling unserer Fock, so nennt man den Drehmechanismus mit dem man das Segel ein- und ausrollt, lief alles andere als butterweich. Wir hatten durchaus die Hoffnung diese Reparatur schwimmend erledigen zu lassen. Das Aus- und Einkranen unseres Bootes ist nämlich kein Schnäppchen. Diese Prozedur hatten wir für unsere Sommerpause bei Thessaloniki geplant. Während wir unseren Heimurlaub genießen, wäre dort das Unterwasserschiff gereinigt, der Propeller gewechselt und zwei Ventile für die Toilettentanks getauscht worden. Als Bootseigner hat man sich um die eigene Kanalisation, in dem Fall Schlauchführung, Pumpen, Sammelbehälter und eben die Ventile für die Entsorgung selbst zu kümmern. Nichts ist unkaputtbar.
Nun aber weg vom Plan, hin zur Realität. Die ersten Tage auf See waren, wie bereits erwähnt, sehr windig, ungemütlich und kühl. Die Reiseroute mussten wir aufgrund der heftigen Böen des Meltemi verändern. Schützende Ankerbuchten lagen nicht auf geplanter Route, Umwege waren erforderlich. Hinzukamen vier Tage Bootsisolation. Wind und Wellen machten Landgänge problematisch und reizlos. Außerdem wollten wir auf jeden Fall parat sein, sollte der Anker seine Aufgabe nicht hundertprozentig erfüllen. So lief uns wieder einmal die Zeit davon. Von Gemütlichkeit keine Spur. Dem Meltemi ging die Puste endlich aus. Eine Nachtfahrt war nötig. Wir erwischten optimale Windverhältnisse.
Vor unserem letzten Schlag nach Leros zur Werft ankerten wir in einer ruhigen Bucht mit glasklarem Wasser, testeten endlich mein neues Kajak und schwammen im Meer. Hierbei konnten wir prima den Bootsrumpf inspizieren. Da hatten wir den Horror vor Augen. Die Klappe des Bugstrahlruders stand offen. Sie ließ sich nicht wieder schließen. Dieses Erlebnis hatten wir bereits zweimal. Der Tanz auf den rohen Eiern war eröffnet. Eine langsame Nachtfahrt bei konstantem Wind schien am klügsten. Die ruppigen Wellen hatten wir allerdings nicht vorhergesehen, durften sie aber spüren, begleitet von der Furcht die Klappe endgültig zu verlieren. Nicht auszudenken welche Folgeschäden möglich sind.
Mir und meinem Körper ging es gar nicht gut. Ich war ein Totalausfall. Es tut mir so leid, lieber Wolle.
Angekommen sind wir doch, termingerecht, mit Klappe.
Hier und....
jetzt wohnen wir auf Leros in einem hübschen Appartement und erkunden mit einem Mietwagen den letzten Winkel der kleinen Insel. Natürlich werkeln wir täglich am Boot. Die Werft darf große Teile unserer to-do-Liste abarbeiten. Hierfür müssen Ersatzteile aus Schweden geliefert werden. Das dauert. Wir haben das Gefühl in kompetenten Händen zu sein. Kosten und Mühen haben wir gescheut uns aber letztendlich ergeben.
Nach dem Epoxidharz werde ich mich um die Silikonfugen im Salon kümmern. Ach ja, die Sprayhood muss ich noch reinigen, zur Vorbereitung für den Segelmacher. Die, vom Hagel letztes Jahr durchschossenen, Plastikscheiben können so nicht bleiben. Ich schmunzle. Es macht mir Spaß, trotz abgebrochener Fingernägel, verschwitzter Haare, Staub und Schmutz, selbst in der letzten Pore. Im tiefsten Inneren bin ich eben doch ein Handwerker.
Gedanken:
Zwei Komponenten, eins zu vier, so einfach ist das mit der menschlichen Glückseligkeit wohl nicht. Bausteine hierfür gibt es gewiss viele. Das Mischungsverhältnis ist individuell verschieden. Diesen Mix muss jeder für sich selbst zusammenstellen.
Wenn ich ehrlich bin war es mir manchmal zum Heulen. Mit Abstand betrachtet waren es Luxustränen, die da flossen. Denke ich an Leid und Elend so vieler Menschen auf der Welt, schäme ich mich und bin dankbar für das Privileg solche vergoldeten Tränen vergießen zu dürfen.
D-61476 Kronberg