Mittlerweile gehe ich nicht mehr täglich mit aufs Boot. Es gibt kaum noch Dringendes zu tun für mich. Die Endreinigung erfolgt, wie das Wort es besagt, am Ende. Unsere Ersatzteile sind schon bis Griechenland gereist, fast zum Greifen nach. Das Ende rückt näher. Ich freue mich aufs Putzen. Von dem Moment an läuft der Countdown. Unser Appartement habe ich bis Montag verlängert. Dann ziehen wir wieder in unser schwimmfähiges Heim. Das wird eine Herausforderung, denn die Temperaturen sind mächtig in die Höhe geklettert. Unter uns ein geschotterter, staubiger Boden, um uns herum der sich mehr und mehr aufheizende Bootsrumpf.
Die sanitären Einrichtungen der Werft sind nicht besonders weit vom Boot entfernt. Allerdings muss man zuerst die 5 Meter Abstieg auf der steilen Aluleiter hinter sich bringen. Wenn ich früh morgens muss, ist es meist dringend. Zum Glück sind die Werftmitarbeiter nicht so früh vor Ort. Ansonsten müsste ich mein Negligé gegen etwas Robustes tauschen. So viel Zeit habe ich nicht.
Schlussendlich sind es drei Nächte geworden. Die Rechnung ist bezahlt. Die Zahl haben wir uns schön getrunken. Morgen wird gelauncht. Also das Boot wird ins Wasser gelassen. Den günstigen Monatspreis für den Landliegeplatz haben wir bis hin zur letzten Sekunde ausgenützt. Hätte mir das vor vier Wochen jemand gesagt , hätte ich über diesen Witz wohl gelacht.
Gestern habe ich etwas zum ersten Mal in meinem Leben gemacht, also eine Premiere. Auf dem Weg von unserem Boot zur Toilette steht eine Kiste. Daran ist ein Stück Pappe mit Klebeband befestigt. Darauf steht "FREE STUFF", also die Freigabe zum mitnehmen. Zwei Plastikdosen mit Deckel weckten keine Begehrlichkeiten in mir. Daneben lagen eine weiße Bluse und eine kurze Jeans. Bei der zweiten oder dritten Passage der Kiste habe ich mit zwei Fingern das weiße Damenoberteil hochgehoben und begutachtet. Sah ganz nett aus mit den Flatterärmeln und dem umstickten, floralen Lochmuster. Flecken hatte es keine und duftete auch gewaschen. Aber nein, wer weiß und überhaupt, auf keinen Fall. Am nächsten Tag: Ich könnte es ja mal im Toilettenraum vor dem Spiegel anprobieren. Gedacht - gemacht. Tatsache, der Fummel passet perfekt. Eigentlich war es eher ein kurzes Kleid. Wolle fänd es bestimmt sexy. Auf dem Rückweg zum Boot konnte ich nicht widerstehen. Die Hotpants hatten Löcher, absichtliche Löcher, used look. Bedeutet, der äußere Schein und das tatsächliche Alter stimmen nicht überein. Roch genauso frisch wie das Oberteil. Beide Sachen kamen demnach von der selben Spenderin. Also mutig damit zurück in die Toilettenumkleide. Wahnsinn, passte perfekt, wie für mich gemacht.
Übrigens: Die Plastikdosen liegen noch.
D-61476 Kronberg